Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren
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Georg Dehio Buchpreis 2012

November 2012


Die Rückkehr nach Prag

Laudatio für Peter Demetz anlässlich der Verleihung des Georg Dehio-Buchpreises 2012
gehalten am 29. November 2012 in Berlin


Die Veröffentlichung der Laudatio erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam

 

Hans Dieter Zimmermann
alle Fotos auf dieser Seite: © Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2012 • Fotograf: Mathias Marx, Schwielowsee
Womit anfangen? Vielleicht mit dieser Szene. Peter Demetz sprach auf dem von uns gemeinsam organisierten Rilke-Colloquium im Prager Goethe- Institut, dem schönen Haus hinter dem Nationaltheater, das bis 1990 Botschaft der DDR war. Es war unsere zweite Konferenz, die erste ging natürlich über Franz Kafka, der bis 1990 persona non grata in Prag gewesen war. Diesmal sprach Peter Demetz über das erste Buch, das er als junger Mann im Exil geschrieben hatte: eine Untersuchung des jungen René Maria Rilke, des anderen großen Prager deutschsprachigen Dichters. In der ersten Reihe der zahlreichen Zuhörer saß Pavel Tigrid, lange Herausgeber von svědectví in Paris, der Zeitschrift, die das kulturelle Leben der Tschechen jahrzehntelang am Leben erhalten hatte, als die Kommunisten es fast erstickt hatten. Ein von den Kommunisten gehasster Mann war nun Kulturminister der Tschechischen Republik. Die beiden »Republikflüchtlinge«, die Anfang der fünfziger Jahre bei Radio Free Europe in München gearbeitet hatten, begegneten sich wieder. Eine glückliche Szene und eine Szene nicht ohne Melancholie. Wie viel Elend war geschehen, wie viele Verbrechen, bis sie in ihre Vaterstadt zurückkehren konnten nach mehr als 40 Jahren!

Zu Anfang seines Vortrags berichtete Peter Demetz von seiner Flucht 1949 durch den Böhmerwald nach Bayern. Er floh unter Lebensgefahr. (Das wäre einmal eine Überlegung wert, wieweit die Verbliebenen nach 1948 die Vertriebenen beneideten, weil diese im freien Bayern lebten, während sie im geknechteten Böhmen unterdrückt wurden. Ich kenne etliche Beispiele.) Peter Demetz musste seinen Koffer auf der Flucht im Walde zurücklassen. Und so könnte man sagen – nach dem bekannten Lied von Hildegard Knef »Ich hab noch einen Koffer in Berlin« – Peter Demetz hat noch einen Koffer in Böhmen. Und der hielt seine Gedanken an die verlorene Heimat fest, auch als er in der Neuen Welt zu Ruhm und Ansehen gelangt war.

Der Weg war nicht so einfach, wie er sich heute liest. Nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten 1945 endlich die Möglichkeit des Studiums an der Karls Universität, aber eben nur bis 1948, als die Kommunisten die Macht übernahmen. Nach der Flucht im Lager für displaced persons in Bayern, völlig mittellos, dann der Versuch des Studiums in Zürich und London, schließlich zwei Jahre bei Radio Free Europe in München. Und dann die Auswanderung nach den USA, erneut Studium an der Columbia University, und 1954 schließlich der Schritt zur Yale University, einer der angesehensten Universitäten der USA, die seine alma mater wurde. Er lehrte dort bis zum Ruhestand als Professor für deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft.

Dabei ging er Europa nicht verloren: seine Themen waren europäische, vor allem solche der deutschen Literatur, und seine Bücher wurden in Deutschland gelesen und gewürdigt. Zunächst schrieb er noch deutsch, dann englisch, so dass sie übersetzt werden mussten. Das erste Buch, das ich von ihm las und immer wieder lese, auch meinen Studenten immer dringlich empfohlen habe, ist das beste Buch über Theodor Fontane, das ich kenne. Es erschien in der Schriftenreihe meines Lehrers Walter Höllerer 1964 und dann als Taschenbuch.

Für sein publizistisches Gesamtwerk mit dem Georg Dehio-Buchpreis 2012 geehrt: Professor Peter Demetz. Rechts MinDir. Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel (BKM)
Der Prager Demetz als Autor eines Fontane-Buches? Einmal zählte es ja zum Vorzug der Prager deutschen Literatur, dass sie keine Heimatliteratur war (im Gegensatz zur böhmendeutschen), wiewohl die Literatur einer kleinen Minderheit in einer tschechischen Großstadt, etwa sechs Prozent der Prager waren vor dem Krieg deutschsprachig, davon die meisten Juden. Und das war wohl ein Grund dafür, dass der Blick der Prager über die Stadt hinausging. Welch wunderbaren Essay schrieb etwa Max Brod über den schweizerdeutschen Autor Robert Walser. Und das prager tagblatt war eine überregionale Zeitung. Zum andern ist wohl kaum ein deutscher Autor dem Temperament von Peter Demetz so nahe wie Fontane, will mir scheinen: Eine gewisse Gelassenheit, eine gewisse Lakonie, eine ironische Distanz zu den Dingen, eine Gerechtigkeit, die auch den Gegner gelten lässt, all das, was wir beim alten Fontane bewundern, das zeichnet doch auch Peter Demetz aus, der in ungleich schwierigere Parteikämpfe verwickelt wurde als Fontane. Demetz zeigt in seinem Buch Theodor Fontane im europäischen Kontext. Den Unsinn der Germanisten, die behaupteten, Fontane hätte wegen seiner französischen Herkunft so schöne Causerien geliefert, widerlegt er: Es war der englische Gesellschaftsroman, an dem Fontane, zehn Jahre Korrespondent in London, sich schulte, und das hat ihn über die deutsche Provinz hinausgehoben.

Dieser Blick auf die deutsche Literatur in ihrem europäischen Kontext ist es denn auch, der Peter Demetz auszeichnet. Er sieht sie von außen, er sitzt nicht im Literaturbetrieb drinnen, wiewohl er daran teilnahm, aber eben als Gast. Seine Untersuchungen der deutschen Nachkriegsliteratur sind frei von den Lagerbildungen in Deutschland und offen für die Entwicklung eines jeden Autors, der mit einem Werk nicht verurteilt wird, wenn denn das nächste ihn weitergeführt hat. So nahm Peter Demetz teil am deutschen und am österreichischen Literaturleben als Rezensent in den großen Blättern und zehn Jahre lang als Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann- Preises in Klagenfurt, ein verbindlicher, die Spitzen der Kritik abbrechender Moderator und doch ein scharfsinniger Kritiker, der keineswegs alles gelten ließ. Im Gegenteil. Ich erinnere mich an die Rezension des ersten Buches eines jungen Autors in der f.a.z.. Peter Demetz: Er schreibe gut, aber er habe nichts zu sagen. Das trifft übrigens auf einige junge Autoren auch heute noch zu, scheint mir.

Die Hinwendung zur Prager Heimat kam, sehe ich recht, mit der sanften Revolution. Diese Revolution war ein Wunder, das inzwischen fast vergessen ist: Ein riesiges Reich, das größte und mächtigste wohl der Geschichte, brach zusammen und auseinander, ohne dass ein Schuss fiel. Diese Wende hat auch uns im Westen befreit. Auf einmal sahen wir wieder die Themen, die wir verloren hatten: unsere östlichen Nachbarn, bisher hinter der Mauer verborgen, rückten wieder in unseren Blick.

»Das alte weltoffene, vielfältige, liberale Prag, das Peter Demetz für uns so vortrefflich verkörpert, gibt es nicht mehr. Aber Peter Demetz hat es in seinen Schriften festgehalten, nicht nur da, wo er über es spricht, sondern auch da, wo er über anderes spricht: eben in seiner Haltung.«
Hans Dieter Zimmermann
Auswahl von Büchern von Peter Demetz
Und Peter Demetz wurde zum Historiker. Sein umfangreiches Werk prag in schwarz und gold. sieben momente im leben einer europäischen stadt, 1997 erschienen, ist ein besonderes Geschichtswerk. Durchaus sachlich und genau gearbeitet, aber unverkennbar mit dem anteilnehmenden Blick des Essayisten, der behutsam, aber sicher, seine Urteile setzt. Nach einem Prolog über die Ur-Mutter Libuše oder Libussa kommen die sieben Momente, in denen sich die Geschichte der Stadt konzentriert: Ottokars Prag, das Prag Karls IV., das der hussitischen Revolution, das Rudolfs II., schließlich Mozart in Prag, die Revolution von 1848 und am Schluss Masaryks Prag. Der Band zählt über 600 Seiten, enthält eine ausführliche Bibliographie und darin viele tschechische Werke. Hier zeigt sich Demetz als Kenner nicht nur der deutschsprachigen Prager Kultur, sondern auch der tschechischen, in der er ebenfalls zu Hause ist. Hier kann jeder die Geschichte dieser Stadt kennen lernen, die zumindest in Teilen auch unsere deutsche Geschichte ist und jedenfalls die Geschichte eines Nachbarn, mit dem wir über die Jahrhunderte verbunden waren wie mit keinem anderen, vielleicht Frankreich ausgenommen. Und wie wenig kennen wir ihn, verglichen etwa mit Frankreich. Wenn jetzt hierzulande viel von der Reformation Martin Luthers als einmaliger Tat die Rede ist, so wird vergessen oder ist unbekannt, dass Jan Hus und die Seinen hundert Jahre vor Luther all das, was Luther forderte, schon gefordert hatten.

Bessere Kenntnis des Nachbarn: Das war auch der Impuls zur Tschechischen Bibliothek in deutscher Sprache, die wir gemeinsam mit Freunden herausgaben, mit Eckhard Thiele, Peter Kosta und dem tschechischen und deutschen Schriftsteller Jiři Gruša. Ich habe gerne davon erzählt, wie wir beide in einem Berliner Kaffeehaus saßen und Peter Demetz auf einen Bierdeckel, ich glaube, es war der Zettel der Rechnung, aber mit dem Bierdeckel habe ich in Böhmen mehr Erfolg gehabt: Auf den Rücken eines Bierdeckels also zeichnete Peter Demetz die Werke, die unbedingt in einer Tschechischen Bibliothek vertreten sein müssten. 33 Bände erschienen in der Deutschen Verlagsanstalt, Dank der Unterstützung der Robert Bosch Stiftung. Dieses Unternehmen wäre ohne die Kenntnisse, ohne die Inspiration von Peter Demetz nicht denkbar gewesen. Und ohne die Hilfe von Eva Profousová, die heute hier ebenfalls geehrt wird.

Bereits im Prag-Buch von 1997 deutet sich an, was dann seine zweite große Arbeit über Prag auszeichnet: die subjektive Perspektive, Geschichte von unten, die Sicht des Einzelnen, der in das Geschehen hineingezogen wird, obwohl er nichts damit zu tun hat. Am Schluss des Bandes als Postskriptum steht ein Beitrag, der die Rückkehr in die Stadt Prag nach mehr als 40 Jahren schildert. Ich muss gestehen, dass ich die ersten Zeilen, auch wenn sie dann ironisch zurückgenommen werden, nie ohne Rührung lesen kann. Es mag daran liegen, dass ich auch einmal zwölf Jahre aus Prag ausgesperrt war und fühlen kann, was es bedeutet, nicht dorthin fahren zu dürfen. Und dann endlich von Westen her mit dem Zug hineinfahren: erst der Bahnhof von Smíchov, dann der Vyšehrad und dann die Burg, dieser unvergleichliche in den Himmel ragende Bau, der jedes Mal aufs Neue entzückt. Demetz schließt die Geschichte seiner Familie an: einer tschechisch- jüdisch-deutsch-katholisch-ladinischen Familie. Ja, das ist das Besondere: ladinisch. Der väterliche Großvater kam aus dem Grödner Tal in den Dolomiten, wo sich dieses einen alten lateinischen Dialekt sprechende Volk der Ladiner seit Römertagen gehalten hat.

Peter Demetz und seine Gattin lauschen der Laudatio von Hans Dieter Zimmermann.
Das bringt natürlich mit sich, dass Peter Demetz zu allen denkbaren Prager Konstellationen gehört und zu keiner richtig. Er zeigt auch, dass selbst in der Familie eine feine Grenzlinie zwischen den deutsch sprechenden und den tschechisch sprechenden Verwandten verlief. Auch Masaryks Prag war vor den nationalen und antisemitischen Auseinandersetzungen nicht gefeit, wenn auch der Präsident immer das Schlimmste zu verhindern wusste und die Republik auf gutem Wege war, als die Nazis sich in Deutschland und die Henlein-Truppe sich in den sogenannten Sudetengebieten breit machten. Wir brauchen noch dreißig Jahre, sagte Masaryk zu Karel Čapek einmal. Die wurden der Republik nicht gegönnt. Folgerichtig endet deshalb das Prag-Buch mit dem Trauerzug nach dem Tode Masaryks am 21. September 1937. Dieser Zug ist mit vielen Fotos dokumentiert: ein grauer drückender Himmel, die Stadt voll mit Hunderttausenden von Menschen und im Zug die Elite der demokratischen Republik, die bald in Lagern verschwinden sollte. Die Tschechoslowakei war damals die einzige Demokratie in Mittel- und Osteuropa. Und gegen diese Demokratie, bei allen Problemen ein freiheitlicher Rechtsstaat, haben sich die meisten Sudetendeutschen im Mai 1938 entschieden, als die Nazis ihre Maske schon lange hatten fallen lassen: Bei den Kommunalwahlen erhielt die schon offen nazistische Henlein-Partei fast 90 Prozent der Stimmen. Nirgendwo waren die Nazis bei Wahlen so erfolgreich.

Wie es weiterging, davon handelt Peter Demetz in seinem zweiten Prag-Buch, 2007 erschienen, das deutsch ► mein prag heißt, englisch prag in danger. the years of german occupation 1939–1945. Mit dem englischen Titel ist die eine Seite des Buches, mit dem deutschen die andere erfasst. In der Tat geht es um beide und das gibt dem Buch etwas Einzigartiges. Es stellt die allgemeine Geschichte, die wiederum genau und detailliert referiert wird, neben die individuelle Geschichte, die von dem jungen Peter Demetz erlebte. Auf einmal gehört er doch zu einer Gruppe: Nach Nazi-Gesetzen ist er ein Halbjude. Er ist derselbe wie zuvor, aber die politische Lage hat sich eklatant verändert und auf einmal ist er doch anderer und der Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Die Einzelnen haben ja selten Anteil an dem großen politischen Geschehen, sie können es kaum beeinflussen, sie sind vielleicht damit einverstanden oder nicht einverstanden, sie werden auf jeden Fall in Mitleidenschaft gezogen, so oder so. Und sie versuchen trotz allem ihr eigenes Leben zu leben. Das ist, meine ich, neben dem Zeugnis über das Prag der Okkupation und wie es ein junger »Halbjude « erlebte, die zweite wichtige Botschaft des Buches, die wahrgenommen werden sollte.

Ich will ein Beispiel nennen. Wenn wir auf dem jüdischen Friedhof in Strašnice das Grab von Freunden auf dem Urnenfriedhof hinten aufsuchen, gehen wir die Hauptallee entlang: links und rechts prächtige Gräber von Anwälten, Ärzten, Fabrikanten, Beamten, die vor 1939 starben. Wenn wir zurückgehen, gehen wir die der Strasse zugekehrte Mauer entlang an Kafkas Grab und dem seiner Eltern vorbei. An der Mauer hängen zahllose Tafeln »In memoriam«, umgekommen in Auschwitz, Treblinka, Sobibor. Es sind dieselben Menschen wie in der Hauptallee, alles brave, gute Bürger, drüben geachtet, hier vernichtet. Es hat mit ihrem eigenen Leben überhaupt nichts zu tun.

Das ist für mich die Szene, die ich nie vergessen werde aus diesem mein prag: der Abschied von der jüdischen Mutter. Sie hatte ihre Bergschuhe angezogen, mit denen sie immer in den Alpen wandern ging, als könnte sie sich irgendwie vorbereiten auf das, was ihr bevorstand. Der Sohn begleitet sie zur Messehalle, in der die Juden zum Transport gesammelt wurden. Jedes Mal, wenn ich mit der Tram zum Bahnhof Holešovice fahre, komme ich an dieser Prager Messehalle vorbei. Jedes Mal denke ich an diese Mutter und an die vielen anderen. Einer hatte Glück, könnte man fast sagen, Jiří Orten, der junge tschechische Lyriker: Er wurde von einem deutschen Lastwagen überfahren, bevor er in einen Transport kam. Sein Grab ist ebenfalls auf diesem Urnenfriedhof in Strašnice, immer mit vielen Steinchen versehen. Und es ist nicht das geringste Verdienst von Peter Demetz, dass er die Elegien dieses großen Poeten in die deutsche Sprache gefasst hat, so dass auch wir sie lesen können. Das war keine einfache Arbeit: Die deutschen Verse vermitteln die Kraft der tschechischen, soweit eine Übersetzung von Poesie überhaupt dazu in der Lage ist. Dafür meinen besonderen Dank.

Nach dem offiziellen Teil der Preisverleihung gratulierten zahlreiche Gäste dem Georg Dehio-Buchpreisträger 2012 und ließen sich ihre – vor Ort am Büchertisch des Kulturforums gekauften oder eigens mitgebrachten – Bücher signieren.
Demetz schildert auch das Ende des deutschen Prag, dabei auf einen Text von Sigrid John-Tumler zurückgreifend. Alle Deutschen wurden vertrieben, ob sie nun Nazis waren oder Gegner der Nazis. Und so wie die Juden den gelben Stern, so mussten die Deutschen eine weiße Binde tragen. Die Säuberungen gingen nach 1948 weiter, als die Reste der Zivilgesellschaft, die von den Nazis übrig gelassen worden waren, von den Kommunisten beseitigt wurden.

Wenn Peter Demetz heute durch Prag geht, ist das nicht mehr sein Prag: Die Zerstörung des tschechisch-deutsch-jüdischen Prag begann 1938 nach dem Münchener Abkommen. Es war eine lange blutige Zerstörung, die nach 1948 fortgesetzt wurde; von der liberalen Republik des Tomáš G. Masaryk blieb fast nichts mehr übrig. Václav Havel, der fast vier Jahre unter den Kommunisten in Haft gewesen war, versuchte als Präsident an den Präsidenten Masaryk anzuknüpfen. Immerhin hat er den Anspruch einer Wahrhaftigkeit festgelegt, die als Richtschnur dienen kann, auch wenn sie im alltäglichen Leben nicht immer leicht einzuhalten ist. Das alte weltoffene, vielfältige, liberale Prag, das Peter Demetz für uns so vortrefflich verkörpert, gibt es nicht mehr. Aber Peter Demetz hat es in seinen Schriften festgehalten, nicht nur da, wo er über es spricht, sondern auch da, wo er über anderes spricht: eben in seiner Haltung. Und dieses Bild der Vergangenheit macht Hoffnung für die Zukunft in einem vereinten Europa, in dem gerade die kleinen Staaten ein Zuhause finden: sie können sich frei entwickeln und sind doch sicher in NATO und EU vor den Übergriffen der Großen, denen sie so oft ausgesetzt waren. Und es macht Hoffnung auf ein neues liberales Prag, wie wir es schon erleben können.

Ich begann mit einer Szene und mit einer Szene will ich enden. Neben den vielen Auszeichnungen und Ehrungen, die Peter Demetz erhielt, sticht eine hervor: die Verdienstmedaille der Tschechischen Republik, verliehen von Präsident Václav Havel im Jahr 2000. Die Verleihungen finden immer am Nationalfeiertag, dem 28. Oktober, im schönen Wladislawsaal auf der Burg statt. Die zu Ehrenden sitzen auf dem Podium, das diplomatische Corps zu ihren Füßen. Es war für mich ein großes Glück, dass ich dabei sein durfte. Wir trafen uns zunächst im Waldstein-Palais bei einem Empfang des Senats; da waren sie versammelt, die Emigranten, die in den USA oder anderswo an Universitäten gelehrt, an ihren Schreibtischen, in ihren Ateliers gearbeitet hatten, die bejahrten Offiziere, die in der britischen oder amerikanischen Armee ihr Vaterland verteidigt hatten, und die Dissidenten, die als Heizer oder Fensterputzer überdauert hatten. Dann ging es mit dem Bus hinauf zur Burg. Wir saßen auf dem Podium und warteten, bis die Fanfare der Libuše ertönte, alle erhoben sich, der Präsident trat herein. Die Nationalhymne erklang und Václav Havel hielt eine kurze Rede, bevor er die Ehrungen verteilte. Mir kam es vor, als ob manchmal sogar Gerechtigkeit herrsche in der Geschichte.

Lieber Herr Demetz, ich habe es nachgerechnet: Ich kenne sie jetzt 40 Jahre. Seit damals, als Sie in der West-Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied Sie waren und deren Angestellter ich war, eine viel bewunderte Rede über Fontane hielten, gab es viele für mich fruchtbare Begegnungen. Es ist für mich eine große Ehre, Ihnen heute hier Danke zu sagen für all das, was Sie uns gegeben haben, für all das, was ich durch Sie gelernt habe, denn so haben auch andere durch Sie gelernt. Es waren immer kurze, aber immer intensive Begegnungen, auch etwa in der Jury des Kafka- Preises der Kafka-Gesellschaft Prag, bei dessen Einrichtung als internationaler Preis Sie wiederum Anregungen gaben. Es waren immer Winke, die weiterführten. Für Ihr Lebenswerk, das ja nicht nur in Ihren Texten, sondern auch in Ihren Taten besteht und in Ihrer Haltung, wollen wir Dank sagen. Dank für Ihre Tätigkeit der Vermittlung zwischen dem Deutschen und dem Tschechischen und der Hinführung zu dieser immer noch und immer wieder einzigartigen Stadt im Herzen Europas. Dass Sie heute hier in Berlin den Georg Dehio-Buchpreis für Ihr Lebenswerk erhalten, und auch noch Unter den Linden, mag als ein schönes Zeichen der Anerkennung im Sinne des alten Fontane verstanden werden.


 

Das ist nichts für Feiglinge
Laudatio für Radka Denemarková und Eva Profousová anlässlich der Verleihung des Georg Dehio-Buchpreises 2012
gehalten am 29. November 2012 in Berlin


Die Veröffentlichung der Laudatio erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors  und des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam

Andreas Kossert
alle Fotos auf dieser Seite: © Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2012 • Fotograf: ► Mathias Marx, Schwielowsee
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Liebe Eva, liebe Radka,

ein herrlicher flecken erde: Der vierjährige Denis spielt im Garten in der beschaulichen Idylle einer böhmischen Landschaft. Man sieht das Dorf förmlich vor sich, riecht den Sommer Mitteleuropas. Unter einem Apfelbaum wühlt er im Sand und findet einen Menschenschädel, den er als Trophäe freudestrahlend seinen Eltern überbringt. Das ist der verstörende Einstieg in diesen Roman. Verstörend von Anfang an, der Leser ist zunächst geneigt, sich der Kraft der Sprache zu verweigern, ihr nicht mehr zu folgen, ja, sich ihr durch Flucht zu entziehen.

Es ist das sprichwörtliche Graben nach Leichen im Keller – sinnbildlich im böhmischen Apfelgarten.

»Ich muss den Schmerz zeigen, nicht heilen, ich bin der Schmerz, nicht die Ärztin«,
hat Radka Denemarková einmal gesagt. Nach der Lektüre ihres Romans wird das nur zu verständlich. Der Roman, im tschechischen Original penize od hitlera (Geld von Hitler), im Deutschen ► ein herrlicher flecken erde, beschreibt die unmittelbare Nachkriegszeit und dann – nach einem Zeitsprung von sechzig Jahren – mehrere Kapitel ab 2005. Radka Denemarková nimmt die tschechische Gesellschaft unter die Lupe und offenbart, dass man vergangenes Unrecht nicht verschweigen kann, sondern ungeliebte und vergessen gemachte Ereignisse zurückkehren, ob man will oder nicht. Gleichzeitig unterstreicht Radka Denemarková eindrücklich, dass vergangenes Unrecht auch im Nachhinein zerstörerisch wirkt und moralische Normen dauerhaft untergräbt. Ihre »rationale Unnachgiebigkeit« – so die Zeitung lidové noviny – ist steter Kompass für ihr kraftzehrendes Ringen um eine angemessene Sprache für eine unmenschliche Geschichte.
»Radka Denemarkovás kompromissloser moralischer Kompass ist die Menschenwürde, die für alle gilt und unantastbar ist. Ihre literarische Stimme zwingt uns alle, nicht wegzuschauen bei Ungerechtigkeiten, Verletzungen und Demütigungen, die sich stets wiederholen, hier, dort, überall«
Andreas Kossert
Radka Denemarková (rechts) und Eva Profousová während der Laudatio. Im Hintergrund in der Bildmitte Petr Brod
Worum geht es: Der Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit durchzieht den gesamten Roman. Schmerz ist sein ständiger Begleiter. Gita Lauschmannová ist die Heldin. Als 16-jährige kehrt sie aus der Hölle von Auschwitz zurück, ihre Eltern und ihre Schwester wurden dort ermordet. Im Frühjahr 1945 geht sie nach Puklice, an den einzigen Ort, den sie jemals als Heimat empfunden hat.

Doch die jüdische Familie Lauschmann war deutschsprachig, weshalb sich nach der Befreiung tschechische Bewohner ihr Vermögen unter Berufung auf die sogenannten Beneš-Dekrete angeeignet haben. Nun steht sie vor ihrem Eigentum und gilt als Störenfried. Das aufgebrachte Dorf und unter ihnen selbsternannte Racheengel wollen sie aus dem Weg räumen, sie umbringen, um ihr gemeinsames Verbrechen zu vertuschen. Sie hatten Gitas zwei Jahre älteren Bruder Adin, der das KZ ebenfalls überlebt hat, gemeinsam ermordet und seinen Leichnam im Apfelgarten verscharrt. Gita selbst überlebt nur, weil eine schwangere Frau Mitleid mit ihr hat. Sie ist die Mutter von Denis, der Gita später unterstützt. So wie Gitas Bruder Adin als ›Deutscher‹ getötet wurde, wird Gita nun als ›Deutsche‹ enteignet. Darüber berichtet sie später:

»Aber klar. Ich weiß, was Sie meinen. Dass alle Sudetendeutschen Hitlers Fünfte Kolonne waren. Das weiß ich doch. Dass sie völlig durchgeknallt waren. Ich weiß auch, dass einige von ihnen den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Puklice mit Triumphbögen begrüßten. Ich weiß, wie sehr sie darauf erpicht waren, zu beweisen, dass sie den Anschluss ans Reich verdient hatten.«

Ja, ich weiß das alles. Und? Das nächste Bierkneipenthema brauchen wir nicht durchzukauen.

»Genauso verblödet haben sich fünfundvierzig die Tschechen gegeben. Bloß hätten die schon ein kleines bisschen schlauer sein sollen, Denis. Die sechs Kriegsjahre hätten ihnen als Warnung dienen müssen. Sie hätten weitere Gräuel verhindern können. Aber vor allem, und das sollten Sie sich ein für alle Mal merken, Denis: Ich will nicht als Deutsche entschädigt werden. Ich will als Mensch für das Unrecht entschädigt werden, das mir zugefügt wurde. Als Mensch, als Bürger, den es ohne Grund getroffen hat. Ich möchte, das man sagt, dass hier ein Verbrechen begangen wurde.«
(ein herrlicher flecken erde, S. 272)

Im Sommer 2005 kehrt Gita mehrmals nach Puklice zurück, wo ihr blanker Hass begegnet. Zwar war ihre jüdische Familie vor tschechischen Gerichten rehabilitiert worden, aber man versuchte weiterhin, Gita auszugrenzen. Diesmal klagte man sie der psychischen Unzurechnungsfähigkeit an, weil sie nach dem tragischen Scheitern ihrer ersten Ehe Patientin einer psychiatrischen Anstalt war. In Puklice schlägt ihr Misstrauen entgegen, obwohl sie nichts anderes will als ein Denkmal für ihren ermordeten Vater zu errichten. Niemand kann bei Radka Denemarková sicher sein, Selbstgerechtigkeit ist fehl am Platz, Schuldzuweisungen falscher Moralapostel mit dem wohligen Gefühl »Ich hab’s ja immer gesagt« vollständig deplatziert. Vielmehr wird das Gewissen eines jeden strapaziert. Gita verkörpert, so der hochverehrte heutige Preisträger Peter Demetz in einer Besprechung, ein »unauslöschliches Gerechtigkeitsgefühl« (f.a.z., 21.01.2010). So heißt es aus Gitas Mund:
»Denis, der Mensch trägt Verantwortung für seine Taten. (…) Es sind immer konkrete Menschen. Unter das Rad, das die Puklicer in Bewegung gesetzt haben, sind Unschuldige gekommen. Und ich habe mir gewünscht, dass man das offen ausspricht.«
(ein herrlicher flecken erde, S. 273)
Mit ihrem Roman ein herrlicher flecken erde provoziert Radka Denemarková durch eine eindringlich kraftvolle und zuweilen irritierende Sprache, so dass Peter Demetz treffend bemerkt, sie versuche »die Wahrheit über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit mit Händen zu greifen, im wahrsten Sinn, als ob sie eine Bildhauerin wäre, die mit Felsbrocken arbeitet und nicht mit bloßen Texten« (f.a.z., 21.01.2010, S. 11).

In der Begründung der Jury für den diesjährigen Georg Dehio-Ehrenpreis heißt es:

»Ein herrlicher Flecken Erde ist eine erschütternde Lektüre. Der Roman erzählt eine exemplarische Geschichte von Verfolgung und Vertreibung – und vom Kampf um Gerechtigkeit. Radka Denemarková legt damit ein wichtiges und literarisch glänzend ausgeführtes Kapitel der Geschichts-Schreibung für die große Chronik der deutsch-tschechisch-jüdischen Beziehungen vor.«
Das ist sicher eine wichtige Lesart des Buches. Wer aber Radka Denemarková kennt, weiß, dass es ihr um so viel mehr geht. Sie beabsichtigt keine bloße Rekonstruktion exakter historischer Vorgänge, vielmehr verdeutlicht sie uns allgemeingültige Dimensionen menschlicher Abgründe. Den Roman und vor allem die Botschaft der Autorin nur im Prisma tschechisch-jüdischdeutscher Beziehungen von Krieg und Nachkrieg zu sehen, hieße, die Perspektive zu verkürzen.
Im Anschluss an die Preisverleihung kam Radka Denemarková gern der Bitte interessierter Gäste nach, ihr Buch zu signieren.
»Ich bin der Schmerz, nicht die Ärztin«. Radka Denemarkovás Roman lässt uns an ihrem Schmerz teilhaben. Sie selbst setzt sich diesem Schmerz über den Zustand der Welt aus, der, wie Alena Wagnerová es treffend in der neuen zürcher zeitung beschrieb,
»in dieser grausamen Geschichte steckt. Als möchte sie den Leser an die Hand nehmen und ihn hinter sich herziehen, um ihn das Fürchten zu lehren davor, wozu die Menschen fähig sind«
(► nzz, 03.12.2009).
Und sie offenbart, dass Opfer auch keine Heiligen sind.
»Bisher war klar, wer Held und Opfer ist. Da ist das Böse und da ist das Gute. Aber Schwarz-Weiß gibt es nicht, es ist viel komplizierter«, sagt Denemarková. Und weiter sagte sie in einem Interview: »Ich wollte, dass dieses Buch wie eine Kröte im Hals ist, keine süße Nachspeise nach dem Abendessen«
(aviva-Berlin, 19.10.2009).
Ihr Roman steht als Chiffre, könnte auch irgendwo anders spielen. Tschechien, ihr Land, das sie für dieses Buch mit dem größten Literaturpreis »Magnesia Litera« ausgezeichnet hat, ist ebenfalls austauschbar, dient eigentlich nur als Kulisse. Die Geschichte soll verstören, in hohem Maße verstören, ja, man möchte das Buch nach einigen Seiten weglegen. So erging es auch mir. Die Autorin stellt die Frage danach, welche moralischen Kategorien gelten. Wird in Ausnahmezeiten Menschlichkeit außer Kraft gesetzt? Gibt es einen Freischein für Bösartigkeit, für Rache, gar für vermeintlich kollektive Rache oder verbirgt sich nicht hinter vielem auch ein schlechtes Gewissen, die Absicht durch besondere Lautstärke das eigene begangene Unrecht zu übertönen? Sie sagt unmissverständlich:
»Und solche Dinge können sich wiederholen. Man braucht nur der schier unerschöpflichen Sehnsucht nach Opferlämmern nachzugeben. Die Sehnsucht, nach den Schwächsten zu suchen und sie zu zermalmen, zu zermalmen und zu beherrschen.«
(ein herrlicher flecken erde, S. 139–140)
Laut, unüberhörbar, immer wieder schreit sie diese Botschaft hinaus. Radka Denemarková hilft uns nicht nur, enge nationale Denkkategorien zu überwinden, sondern erinnert uns alle an die universelle Botschaft von Erniedrigung, Demütigung, Schmerz und Verletzung. Durch die Person von Gita verschafft sie uns Einblicke in die Tiefen der Verletzungen und legt dabei die Schichten ihres eigenen Schmerzes – häufig grausam für die Leser – frei. Dazu sagt die heutige Preisträgerin:
[…] aber meine Hauptfrage ist, warum wiederholen sich diese Situationen in der Geschichte der Menschheit – und zwar überall. Ich beschreibe nicht sachliche, politische Situationen, sondern was sie mit Menschen machen. Mich interessieren konkrete Menschen und Schicksale. Und man darf nie vergessen, wenn da Unrecht war. Für mich ist die innere Welt der Person wichtig. Gita möchte wissen, warum sie nicht ihr eigenes Leben leben kann […] Es geht um die Wunde eines jeden Menschen.
(Interview Radka Denemarková mit Katja Schickel, in: aviva-Berlin, 19.10.2009)
Deshalb gerade ist dieser Roman auch so breit in anderen Lesekulturen rezipiert worden, weil sich genau diese universelle Botschaft mitteilt. Das Ringen um Sprache, das Ringen um Worte, die Pein, der Schmerz, das sind immer wiederkehrende Themen des Romans. Das ist nichts für Feiglinge. Radka Denemarková ist ein Segen – ein Heilen historischer Schmerzen ist möglich, durch die Literatur, die Autorinnen wie Radka Denemarková uns geschenkt haben. Den Mut, auf sich selbst zu vertrauen, sich nicht beirren zu lassen von den Meinungen anderer und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, »dieser Mut zur Wahrheit, das ist der größte Mut, den ich kenne«, sagt sie in demselben Interview mit Katja Schickel. Und die menschliche Seele, das Handeln und die Abgründe offenbaren eine niederschmetternde Erkenntnis, die Radka Denemarková als Leitgedanken ihres Romans festhält:
»Keine Ähnlichkeit ist zufällig. All diese Geschichten sind passiert. Ich weiß immer noch nicht, warum«
(ein herrlicher flecken erde, S. 7)
Eva Profousová empfängt aus den Händen von Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel, Abteilungs­leiterin beim Beauftragten für Kultur und Medien, die Urkunde zum Georg Dehio-Buchpreis 2012. In der Bildmitte Radka Denemarková
Eine pessimistische Zustandsbeschreibung der Welt, aber damit untrüglich auch ein Abbild der menschlichen Wirklichkeit. Mit der Autorin begeben wir uns auf eine stetige Suche nach der Wahrheit. An dieser Suche zerbricht schließlich auch Gita:
»Ich weiß noch nicht alles, das Mosaik ist noch nicht vollständig, ich werde alles, was ich bisher geschrieben habe, zerreißen, es ist nicht meine Geschichte, die ich mit mir herumtrage, ich schleppe Geschichten von anderen mit, man hat sie mir auf den Buckel geladen, mich mit ihnen beschwert, mir die Entscheidungsfreiheit genommen, mir wurde der Erbanteil fremder Taten aufgenötigt. Alles zerreißen, neu anfangen, alles in Stücke reißen und ihre Schicksale aufschreiben, sie wie Linsen sortieren, in einen Kessel mit heißem Wasser werfen, ein Körbchen mit Pilzen in die Arme schließen, alles zerreißen …«
(ein herrlicher flecken erde, S. 291–292)
Mit diesem Preis ehren wir eine wunderbare Autorin aus unserem Nachbarland Tschechien und ihre großartige Übersetzerin. Wir ehren eine kraftvolle literarische Stimme, die weit über Tschechien hinaus aufrüttelt. Eine Stimme aus der Literaturmetropole Prag, aus dem Herzen Mitteleuropas, die uns alle anspricht. Radka Denemarkovás kompromissloser moralischer Kompass ist die Menschenwürde, die für alle gilt und unantastbar ist. Ihre literarische Stimme zwingt uns alle, nicht wegzuschauen bei Ungerechtigkeiten, Verletzungen und Demütigungen, die sich stets wiederholen, hier, dort, überall. Deshalb müssen wir für dieses Buch sehr dankbar sein, denn kraftvoll und kompromisslos erinnert uns Radka Denemarková an das, was Menschsein und Menschlichkeit ausmachen, hier, dort, überall.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir ehren heute – und das ist gerade bei diesem Werk so ungemein wichtig – auch seine geniale Übersetzerin. Das ist deshalb keine Pflichtübung, sondern eine wegweisende und wichtige Entscheidung der Preisjury gewesen. Eva Profousová schafft durch ihre Übersetzung die wahre Brücke zur tschechischen Literatur, sie ist unsere literarische Türöffnerin. Sie hat, das merkt man beim Lesen jeder Zeile, die schmerzhafte Sprache der Autorin aufgegriffen und dadurch diesen Roman in seiner kraftvollen deutschen Übersetzung erst möglich gemacht. Erst Eva Profousová hat diesen Schatz durch ihre unglaubliche, oft atemberaubende Übersetzung für das deutschsprachige Lesepublikum gehoben. Dadurch wird das Buch auch in seiner sprachlichen Tiefe zu einem wirklichen Meisterwerk.

Milá Evo, milá Radko,
von Herzen freue ich mich mit Euch über diese Auszeichnung. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Buch, das Ihr beide – jede von Euch in ihren wunderbaren Talenten – uns geschenkt habt. Euch meine allerbesten Glückwünsche zum Ehrenpreis des Georg Dehio-Buchpreises 2012.



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